Mittwoch, 5. Februar 2014

Handytausch à la Marocaine

Nach dem Regen sieht die Medina besonders erbärmlich aus. 
Nicht die rue des Consuls, wo Teppiche, Lederjacken und Handgeschnitztes für Touristen feilgeboten werden.
Aber die Mellah, das ehemalige Judenviertel, wo alte Bettler vor engen Hauseingängen kauern und selbst angeschimmeltes Gemüse noch Käufer findet.
Oder die schmalen Gassen hinter dem Sonntagstor, dem Bab el Had, wo es allerhand Elektronik zu kaufen gibt und junge Männer sich dichtgedrängt um Stände mit heißer Schneckensuppe scharen, um sich am Essen und an der Nähe zu den Anderen zu wärmen.

Dort war ich neulich unterwegs, um ein Bild rahmen zu lassen. 
Der Regen hatte nicht etwa die Straßen sauber gewaschen, sondern, zusammen mit dem Wind, den Müll an abschüssigen Stellen angesammelt.
Alte Frauen mit vor Verbitterung verzerrten Gesichtszügen, in denen nur Sozialromantiker anerkennend das „gelebte Leben“ sehen, zetern wegen irgendwas.
Einige Jungs, offenbar zusammengehörig, prügeln sich hart, bis einer von ihnen sich mit rotem Kopf, weinend und laut anklagend, von seiner Clique entfernt. Der Ältere lacht, beschwichtigend, verniedlichend. 
(So lernen die Kinder früh, wie sich Demütigung anfühlt; das Gefühl wird sich wie ein roter Faden durch ihr Leben ziehen.)

In solchen Momenten muss ich an bestimmte Sprüche denken, die durch das Internet geistern, wie: „Das Leben beginnt erst, wenn man die Komfortzone verlassen hat.“
Was wohl die Menschen hier mit ihrem herrlich unkomfortablen Leben dazu zu sagen hätten?

Auf dem Vorplatz, vor dem Nadelöhr des Toreinganges, steht eine blonde Touristin, die Arme unter der Brust verschränkt, und guckt mit versteinerter Miene ins Leere.
In dem vollbepackten Sträßchen, wo Handys zum Schleuderpreis verkauft werden, werde ich von einem schlacksigen Mann in einer schwarz-weiß gemusterter Kapuzenjacke angerempelt. Als ich mich misstrauisch zu ihm drehe und er meinen Blick auffängt, hält er schnell ein Handy in die Höhe. Ein weißes Smartphone.
„Vous cherchez un téléphone? Brauchen Sie ein Telefon?“
„Solang es nicht meines ist!“, rufe ich aus und taste instinktiv meine Handtasche ab. Alles noch da. Er sieht mich noch einen Augenblick an, wartet auf mein Kopfschütteln und hastet weiter.
Das ist ungewöhnlich. Niemand hastet. Niemand läuft schnell in Marokko.
Ich sehe ihm nach. 
Nach einigen Metern stellt er das weiße Handy beiläufig auf den schmalen Tisch eines Händlers und schreitet mit großen Schritten davon, verschwindet schließlich in der Menge.

„Werden hier auch manchmal Handys gestohlen?“, frage ich den Rahmenmacher.
„Aber nein, Madame, wo denken Sie hin?“ Dann senkt er den Kopf und murmelt verschämt, „…manchmal… das kann mal vorkommen…. das sind die Schwarzen, die Afrikaner, wissen Sie, denen kann man nicht trauen, schlimm, das ist schlimm!“

Als ich nach einer Viertelstunde zurückgehe, sind die Gassen voller Polizisten. Sie bringen sich breitbeinig in Position, lassen sich die Auslagen zeigen, schnippen einem Händler die Kappe vom Kopf. 
Die Männer zeigen nur lauernd ihre Angst. Ihre Verachtung ist ein Luxus, dem sie erst frönen werden, wenn die Polizisten sich zurückgezogen haben. Diese werden natürlich nicht fündig, sie nutzen nur die Gelegenheit, sich aufzuspielen, ihre Macht zu genießen.
(Macht, sichtbare, fühlbare Macht ist DAS Thema in Marokko.)

Ich laufe aus einiger Entfernung wieder an der blonden versteinerten Miene vorbei. Neben ihr steht der schlaksige Mann, der es vorhin noch so eilig hatte. Er ist dabei, sie mit aufgedrehter Unterwürfigkeit benommen zu quasseln.

In der Hand hält er ein kleines rotes Handy zum Aufklappen.